Kirchenbau und Gemeindezentrum der evangelischen Erlösergemeinde Sauerland
Der Kirchenbau und das sich anschließende Gemeindezentrum der evangelischen Erlösergemeinde in Wiesbaden umfasst auf den ersten Blick Gegensätzliches: Das Gemeindezentrum ist mit seiner zum Marktplatz des Sauerlands liegenden Front vollständig verglast, das rechts davon gelegene Kirchenschiff ist fensterlos und gekennzeichnet durch Geschlossenheit und Konzentration. Hierbei erinnert der steil aufragende Kirchenbau bereits auf den ersten Blick an einen Schiffbug, was – wie sich zeigen wird – kein Zufall ist, sondern eine beabsichtigte Assoziation. Die Tatsache, dass die Straßennamen des Ortsteils sämtlich nord- und ostfriesischen Inseln entlehnt sind, unterstützt m.E. diese These.
Das Gemeindezentrum und der Kirchenbau wurden 1998 eingeweiht; mit dem Entwurf wurde der Dotzheimer Architekt Wolfgang Thrun betraut, dem es mit seinem Entwurf gelang, die einzelnen Gestaltungselemente so zu wählen und anzuordnen, dass der gegensätzliche Charakter der beiden Bauteile auffällt, ohne zu irritieren, indem diese die unterschiedlichen Aufgaben der Gemeinde funktional und optisch darstellen. Darüber hinaus prägt das Ensemble von Gemeindezentrum und Kirchenbau, das eine Seite des Marktplatzes einnimmt, den Platz und schenkt ihm ein Gesicht. Es sei hier angemerkt, dass bei der ursprüngliche Planung der neuen Siedlung Sauerland die Kirchengemeinde samt Gottesdienstraum in eines der oberen Stockwerke der eher einförmig ausgeführten Stahlbeton-Bauten hätte einziehen sollen, hierdurch wäre die Kirche und die Kirchengemeinde für die Öffentlichkeit unsichtbar geworden.
Es kam anders und wir finden heute den uns bekannten Anblick vor, dessen einzelne Elemente gekonnt aufeinander abgestimmt sind. Über die dem Kirchenbau vorgelagerte Terrasse kommt der Besucher auf den Vorplatz des Gemeindezentrums. Die Rampe für Rollstühle wirkt in ihrer auffallend robusten Ausfertigung und ihrer schräg angelegten Positionierung zunächst überbetont, findet aber im Rahmen des Hauptthemas ‚Schiff‘ ihre Begründung: Es ist das Fallreep, welches das vor Anker gegangene Schiff ‚Erlösergemeinde‘ mit dem Festland ‚Sauerland‘ verbindet.
Die entlang der gebogenen Außenlinie des Kirchenschiffs angebrachten Beleuchtungskörper könnten filigran ausgefallene Poller sein, die dem Vertauen des Schiffs dienen. Schweift der Blick des Betrachters nach oben und folgt der Rundung der aufsteigenden Oberkante des Kirchenbaus, bleibt er an dem in luftiger Höhe angebrachten Außenkreuz der Kirche hängen, das vor dem Schall-Loch der Glocke angebracht ist, also dort, wo bei Schiffen der Anker hängt, wobei die Verwandtschaft von Kreuz und Anker, die in der theologischen Überlieferung als Symbole für Glaube und Vertrauen stehen, sicher beabsichtigt ist.
Das Innere des Kirchenbaus strahlt Ruhe aus, die durch das sakrale Ensemble aus Altar, Kreuz, Taufbecken und Kanzel in Holz kontemplativ unterstützt wird. Die vorherrschen- den Farben sind das Weiß der Wände und die Naturholzfarbe des Inventars. Der Grundriss der Kirche besteht längsseitig aus einer Geraden linkerhand und einem gegenüberliegenden Bogen; beide Bewegungen (Statik und Dynamik) finden hinter dem Altar ihren Abschluss, wo die beiden asymmetrisch verlaufenden Längsseiten auf eine Querwand treffen. Der hierdurch entstehende Eindruck erinnert den aufmerksamen Betrachter an eine (Halb-)Bugform oder auch an ein Segel, was der bereits oben angesprochenen Symbolthematik des Maritimen entspricht. Das Licht fällt durch zwei Oberfensterreihen und eine senkrechte Reihe seitlich des Altars nur indirekt in den Kirchenraum, der aber dennoch tagsüber ausreichend erleuchtet ist, ohne dass optische Reize der Außenwelt das Gebet stören könnten.
Das Konzept des Kirchenbaus ist schlüssig und aussagekräftig: Im Kirchenbau schöpfen die Gemeindemitglieder in Gebet und Kontemplation die Kraft, die es ihnen ermöglicht, sich wieder ihrem Leben zuzuwenden. Aus diesem Grund sind die beiden Bauteile, Gemeindezentrum und Kirchenbau, so unterschiedlich ihr Charakter auch ausfällt, nicht Gegensätze, sondern vom Architekten geschickt komponierte Aspekte einer Haltung, die den Kerngedanken des evangelischen Bekenntnisses ausmacht: Der Glaube befähigt zur Tat, die sich im Sinn des Evangeliums in der Hilfe am Mitmenschen ausdrückt und in der Erlösergemeinde durch das Kinder- und Beratungszentrum (KBS) eine deutliche Kontur besitzt, die sicht- und fühlbar in das Leben der Menschen und das soziale Leben des Stadtteils und der Stadt hineinwirkt.
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